Sonntag, den 19. Oktober 1919
Jona 4,1
Wir glauben nicht, daß Gott die Bewohner von Ninive trotz ihrer Buße ungewiß und zitternd auf den vierzigsten Tag warten ließ - daß ihnen erst an diesem Tage durch das Ausbleiben des angekündigten Strafgerichts gewiß geworden wäre, daß Gott ihnen vergeben und sie begnadigt habe! O nein, wir kennen unseren Gott so ganz anders und dürfen überzeugt sein, daß Er den Niniviten auf ihre mit der Tat bewiesene Buße auch alsbald die Zusicherung Seiner vergebenden, verschonenden Barmherzigkeit zuteil werden ließ.*) Und wer anders kann der Übermittler dieser Gnadenbotschaft an Ninive gewesen sein, als Jona - mochte er auch innerlich mit dieser ihm aufgetragenen und von ihm ausgerichteten Botschaft durchaus nicht einverstanden sein - ja, ihr heftig widerstreben? Auch ein Bileam mußte ja einst trotz heftigen Widerstrebens, statt einen mit Gold bezahlten Fluch die höchsten Segnungen über Israel aussprechen, gezwungen von der Macht Gottes! (Lies aufmerksam 4. Mose 22 - 24.) - Daß Gott den in aufrichtiger Buße sich beugenden Sündern von Ninive Vergebung und Rettung zuteil werden ließ, verdroß also den Propheten sehr; er wurde ärgerlich, ja, zornig über Gott! Man hätte zwar denken sollen, die ihm selbst widerfahrene Milde und Begnadigung von seiten Gottes, welcher ihn aus den Meerestiefen, ja, aus dem Bauche des Fisches gerettet hatte, obwohl die Strafe seines Ungehorsams eine nur zu verdiente gewesen, hätte ihn nun auch milde und mitfühlend gegen andere gestimmt. Aber nein! Der alte, hochmütige Jona kommt hier wieder zum Vorschein mit all seinem Eigenwillen und Trotz - in all seiner Selbstliebe und Lieblosigkeit gegen andere! Wer unter uns will den ersten Stein auf ihn werfen? Wohnt nicht derselbe Jona in uns? Zeigt er sich nicht manchmal plötzlich in dir und in mir, trotz aller uns schon zuteil gewordenen Gnade, Demütigung und Erziehung von Gott?