BIBELLESEZETTEL von Chr. von Viebahn

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JAHRGANG 1919
Oktober 1919

Freitag, den 3. Oktober 1919


Psalm 119,84.85

Luther hat den Sinn des ursprünglichen Textes wohl am richtigsten erfaßt, wenn er die Frage: „Wie viele werden der Tage Deines Knechtes sein?“ übersetzt: „Wie lange soll Dein Knecht warten?“ d. h. wie viele Leidenstage und Leidenswochen oder gar Leidensjahre stehen mir noch bevor? Wir verstehen diese Frage nur zu gut! Der Psalmist wurde nicht unmittelbar von der Hand Gottes geprüft, sondern Gott überließ ihn nun schon so lange den Bedrohungen, Plagen und Widrigkeiten seitens feindlicher Menschen, ohne daß Er, der Allmächtige, irgendwie zu seiner Befreiung dazwischen trat. Vielmehr schien Gott zu all den Ungerechtigkeiten zu schweigen: „Wann wirst Du Gericht üben an meinen Verfolgern?“ Daß dieses Gericht eintreten werde, bezweifelte der gequälte Gläubige nicht, aber die Frage nach dem „Wann?“ gewann auf die Länge immer größere Bedeutung für ihn. Seine Bedränger waren stolze, übermütige Leute, die in ihrer Gottlosigkeit und Herzenshärte nur darauf sannen, den gottesfürchtigen Mann, der ihnen ein Dorn im Auge und ein Stachel im Gewissen war, aus dem Wege zu räumen. Sie - die sich so ganz und gar im Gegensatz zu dem Gott des Psalmisten und zu dem Gesetz dieses Gottes befinden, haben ihm Gruben gegraben, aber Gott sei Dank! wir hören nicht, daß er hineinfiel! Nein, „die Treuen behütet der Herr!“ - „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen“, wenn du wirklich lauter vor deinem Gott wandelst. Es wird so kommen, daß deine Verfolger selbst in die Gruben fallen, die sie dir gegraben haben - wie schon das weltliche Sprichwort sagt: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!“ (Vgl. Psalm 7,16.17; Spr. 26,27; 28,10; Pred. 10,8.) „Der Herr weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu retten, die Ungerechten aber aufzubewahren auf den Tag des Gerichts, um bestraft zu werden!“

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