Montag, den 29. August 1921
Psalm 123,1-4
Dieser Psalm kommt - ähnlich wie der 120. - aus einem Herzen, das schon viel Leid und Unterdrückung von seiten der Menschen erfahren hat. Auf den ersten Blick möchte man sich wundern, wie dieser Psalm unter die Wallfahrts- oder Stufenlieder gezählt werden konnte, da dieselben doch für frohe Festpilger gedacht sind! Kam aber nicht mancher Festpilger aus schweren, traurigen Verhältnissen heraus zum Hause Gottes? Nicht so schnell können wir häufig das Wehe abschütteln und vergessen, auch wenn es schon hinter uns liegt; es hat tiefe Furchen in unserem Gemüt gezogen. Und wie mancher muß von neuem hinein in schwierige, drückende Verhältnisse, nachdem er eine kurze Erquickung in Gottes Haus und unter Gottes Volk haben durfte! Da ist es ein kostbarer Trost, daß der Aufblick zu unserem mächtigen und gnädigen Herrn im Himmel uns an jedem Ort und zu jeder Zeit möglich ist! - Unsere persönlichen Nöte müssen oft das Mittel sein, uns verständnisvoll und mitfühlend zu machen für die Kümmernisse anderer, ja für die Widrigkeiten und Bedrängnisse des ganzen Volkes Gottes! - Unser Psalmdichter macht sich eins mit all seinen leidenden, unterdrückten Brüdern und bringt die gemeinsame Not vor den großen Herrn im Himmel, Sein gnädiges Eingreifen erbittend und erwartend! - Der Psalm stammt jedenfalls aus einer Zeit, da Israel wegen seines Abweichens vom Herrn in irgendeiner Weise der harten Hand seiner Feinde preisgegeben war, wahrscheinlich aus der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft.